Wenn die Euro-Zone auseinanderfällt, ist das zu Ende

Ex-Kommissionspräsident Prodi im Interview “Griechenland wird seine Schulden niemals zurückzahlen”

Interview von Andrea Dernbach und Albrecht Meier im Der Tagesspiegel der 11 Februar 2015

La traduzione italiana è qui.

Der ehemalige EU-Kommissionspräsident Romano Prodi schließt einen Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone nicht aus. Gleichzeitig kritisiert er im Interview mit dem Tagesspiegel Deutschland: Es nehme seine Verantwortung in der EU nicht ausreichend wahr.

Herr Prodi, sollte Griechenland frisches Geld von den internationalen Kreditgebern ohne ein Programm und entsprechende Auflagen erhalten?

Nein, es muss Kontrollen geben.

Also hat Finanzminister Wolfgang Schäuble Recht, wenn er sagt, dass es im Gegenzug für frisches Geld auch Auflagen geben muss?

Die Auflagen müssen sich in einem realistischen Rahmen halten. Jeder weiß doch, dass Griechenland seine Schulden niemals zurückzahlen wird.

Soll es deshalb einen Schuldenschnitt geben?

Ich weiß, dass das politisch nicht möglich ist.

Die Geschichte lehrt uns aber, dass es keinen Sinn ergibt, wenn man sich unrealistische Ziele beim Schuldenabbau setzt. Es ist viel sinnvoller, ein erreichbares Ziel zu vereinbaren und die Etappen dabei genau zu kontrollieren. Bei Deutschland war das nach dem Zweiten Weltkrieg der Fall. Man kann zwar Deutschland und Griechenland nicht direkt miteinander vergleichen. Aber in jedem Fall war es politisch sehr weise, Deutschland einen Großteil seiner Schulden bei der Londoner Schuldenkonferenz 1953 zu erlassen. Dadurch wurde es Deutschland ermöglicht, Wachstum zu entwickeln.

Es sollte also auch für Griechenland ein internationales Treffen zur Entschuldung nach dem Vorbild der Londoner Schuldenkonferenz geben?

Damals war eine Schuldenkonferenz für Deutschland im allgemeinen Interesse. Jetzt müssen wir im Fall Griechenlands entscheiden, wo unser kollektives Interesse liegt. Ich vermute, dass Griechenland und die Gläubiger demnächst irgendeinen Kompromiss finden, der beispielsweise längere Laufzeiten für die Kredite oder noch niedrigere Zinszahlungen vorsieht. Das wird aber nicht mehr sein als ein kleines Pflaster. Aber meine Befürchtung ist, dass Griechenland in drei Jahren dann wieder vor denselben Problemen steht wie heute. Es wäre besser, endgültig zu entscheiden.

War es ein Fehler, Griechenland in die Euro-Zone aufzunehmen?

Ich würde nicht von Fehler sprechen. Es war leider nur fatal, dass es damals keine Budgetkontrollen gab. Es gab sie vor, nicht aber nach dem Eintritt in den Euro. Italien, Deutschland und Frankreich haben es damals so gewollt. Ich hatte mich seinerzeit als EU-Kommissionspräsident 2003 dafür stark gemacht, dass es strenge Kontrollen der Haushalte in den Mitgliedsländern unmittelbar nach der Einführung des Euro geben sollte. Ich werde nie den Moment vergessen, als Schröder und Chirac – das war während der italienischen Ratspräsidentschaft – sagten, ich solle schweigen. Weil man eine Überprüfung der Zahlen für nicht opportun hielt, hat Griechenland immer und immer wieder betrogen.

Und wie bewerten Sie heute den Ausbruch der Euro-Krise im Jahr 2010 in der Rückschau?

Was Griechenland mit seinem Haushalt gemacht hatte, war moralisch nicht zu verzeihen. Aber Deutschland zögerte 2010 wegen der Wahlen in Nordrhein-Westfalen drei bis vier Monate lang mit Maßnahmen, als sie noch 30 bis 40 Milliarden Euro gekostet hätten. In dieser Zeit verzehnfachten sich Griechenlands Schulden durch Spekulation. Das kann sich wiederholen.

Ist jetzt ein Austritt Athens aus der Euro-Zone eine denkbare Option?

Vorstellbar ist alles. Aber wenn Griechenland austräte, würde das der Welt vor Augen führen, dass der Euro jederzeit scheitern kann.

Sehen Sie eine Teilung Europas in Nord und Süd?

Es gibt eher eine Kluft zwischen der öffentlichen Meinung und den Regierungen. Die Regierungen der übrigen EU-Länder haben nicht viele Möglichkeiten, gegen Deutschland zu handeln. Die Bevölkerung sieht die Dinge anders. Die populistischen Parteien werden weiter Auftrieb bekommen, wenn es nicht zu einer befriedigenden Lösung kommt und Deutschland seiner Verantwortung entsprechend handelt.

Das heißt?

Es ist doch völlig klar, dass Schulden ohne Wachstum nicht geringer werden können. Das ist einfach ganz und gar unmöglich. Ich habe in meiner Zeit als Regierungschef die europäischen Haushaltsregeln immer respektiert, aber ich habe auch gesagt, dass sie dumm sind. Die Wirtschaft braucht einen Schub. Da ist Deutschland gefragt, das die Führungsrolle in Europa hat. Führen heißt: Verantwortung. Deutschland hat aber ein religiöses Verhältnis zu einer möglichst niedrigen Inflation. Und ich fürchte, das wird sich nicht ändern.

Ist die Kluft in Europa zwischen dem reichen Norden und dem darbenden Süden überhaupt noch überwindbar?

Es wäre jedenfalls ein Desaster, wenn man einen Nord- und einen Süd-Euro einführen würde. Der Euro war das Mittel, zum Beispiel als ich Ministerpräsident in Italien war, Haushaltsdisziplin zu erzwingen. Wenn die Euro-Zone auseinanderfällt, ist das zu Ende. Der Süden Europas wäre gezwungen, zu 100 Prozent abzuwerten, und Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit wäre abgewürgt. Nach außen hätte Europa jedes Gewicht verloren. In China, das ich gut kenne, weil ich dort gelehrt habe, hatte Europa früher große Anziehungskraft. Das gibt es nicht mehr.

 

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Dati dell'intervento

Data
Categoria
febbraio 11, 2015
Interviste